Liebe ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer,
Grundrechtseinschränkungen sind möglich, wenn besondere Situationen sie erforderlich machen. Beispielsweise werden Grundrechte des Betroffenen immer eingeschränkt, wenn eine Betreuung angeordnet wird. Deshalb müssen Gerichte besonders sorgfältig prüfen, in welchem Umfang eine Betreuung erforderlich ist. Mehr dazu lesen Sie in der Besprechung zu einem Fall, der es sogar bis vor den Bundesgerichtshof geschafft hat.
In wenigen Tagen ist wieder Weihnachten. Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien ein besinnliches Fest − und für uns alle hoffe ich, dass das kommende Jahr 2021 unbeschwerter verlaufen wird als das zu Ende gehende Jahr.
Herzliche Grüße
Herzliche Grüße
Ihr Christoph Überschär
Aktuelle Rechtsprechung
Wird ein Betreuer für alle Angelegenheiten bestellt, dann muss sich das Gericht sorgfältig mit den Gründen für diesen Umfang auseinandersetzen
Die Bestellung eines Betreuers für alle Angelegenheiten setzt voraus, dass der Betroffene aufgrund seiner Erkrankung oder Behinderung keine seiner Angelegenheiten selbst besorgen kann. Zudem muss in all diesen Angelegenheiten, die die gegenwärtige Lebenssituation des Betroffenen bestimmen, ein Handlungsbedarf bestehen. Beides muss durch konkret festgestellte Tatsachen näher belegt werden.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.6.2020, Az. XII ZB 25/20
Das ist passiert:
Das Amtsgericht als das zuständige Betreuungsgericht hat eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis „alle Angelegenheiten inkl. Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post“ eingerichtet sowie eine Betreuerin bestellt. Die betroffene Frau beschwerte sich beim Landgericht über den Umfang der eingerichteten Betreuung. Das Landgericht hat die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen. Daraufhin wandte sich die Betroffene an den Bundesgerichtshof und erhob Rechtsbeschwerde.
Darum geht es:
Es geht darum, ob das Amts- und das Landgericht den Umfang der Betreuung korrekt angeordnet haben.
Die Entscheidung:
Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) darf ein Betreuer nur bestellt werden, soweit die Betreuung erforderlich ist. Dieser Grundsatz verlangt für die Bestellung eines Betreuers die konkrete Feststellung, dass der Betroffene auf entsprechende Hilfen angewiesen ist und weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen. Die Erforderlichkeit einer Betreuung darf sich dabei nicht allein aus der subjektiven Unfähigkeit des Betroffenen ergeben, seine Angelegenheiten selbst regeln zu können (Betreuungsbedürftigkeit). Hinzukommen muss ein konkreter Bedarf für die Bestellung eines Betreuers. Ob und für welche Aufgabenbereiche ein objektiver Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Wird eine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet, dann muss das Betreuungsgericht konkret darlegen, dass der Bedarf in allen Angelegenheiten besteht.
Diesen Anforderungen wird die Entscheidung nicht gerecht. Denn die konkreten Feststellungen des Landgerichts nehmen lediglich Bezug zu dem Aufgabenkreis „Betreuung in Wohnungsangelegenheiten“ und der damit zusammenhängenden Vermögenssorge. Zu den darüber hinaus bestimmten Aufgabenbereichen fehlen aber sowohl in der angefochtenen Entscheidung als auch in dem Beschluss des Amtsgerichts jegliche konkreten Feststellungen für einen entsprechenden Handlungsbedarf.
Deshalb hat der Bundesgerichtshof die Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Dieses muss nun Feststellungen darüber treffen, warum eine Betreuung für alle Angelegenheiten notwendig sein könnte.
Das bedeutet die Entscheidung für die Praxis:
Die Einrichtung einer Betreuung ist stets ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen. Zu Recht weist der Bundesgerichtshof darauf hin, dass die Gerichte den Umfang einer solchen Einschränkung ausführlich und gründlich prüfen müssen. Hier dürfen es sich die Gerichte nicht zu leicht machen. Haben Sie aufgrund einer Entscheidung Zweifel an der gebotenen Gründlichkeit, lohnt es sich, gegen die Entscheidung Rechtsmittel einzulegen.
Quelle: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.6.2020, Az. XII ZB 25/20
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Gesetzgebung
Bundesrat äußert sich zur geplanten Reform des Betreuungsrechts
Der Bundesrat hat am 6.11.2020 umfangreich zu den Plänen der Bundesregierung Stellung genommen, mit einem neuen Gesetz das Vormundschafts- und Betreuungsrecht zu reformieren.
Der Bundesrat unterstützt die grundlegenden Zielsetzungen des Entwurfs und findet die Umsetzung in weitem Maße gelungen. Die Länderkammer möchte aber die Vorsorgevollmacht stärker berücksichtigen und weist darauf hin, dass in einigen Bereichen mehr auf die Umsetzbarkeit der Regelungen geachtet werden sollte, um unnötigen Aufwand zu vermeiden.
Das plant die Bundesregierung
Im Newsletter 2/2020 haben wir schon über die Reform berichtet. Hervorzuheben ist die geplante Förderung von Betreuungsvereinen. Anerkannte Betreuungsvereine haben Anspruch auf eine bedarfsgerechte finanzielle Ausstattung mit öffentlichen Mitteln. Dies soll eine verlässliche öffentliche Förderung durch Länder und Gemeinden sicherstellen, die das gesamte Aufgabenspektrum umfasst und für die Betreuungsvereine Planungssicherheit schafft.
Die Stellungnahme des Bundesrates wurde der Bundesregierung zugeleitet. Diese verfasst eine Gegenäußerung, anschließend berät der Bundestag. Spätestens drei Wochen nach Verabschiedung des Gesetzes in 2./3. Lesung befasst sich der Bundesrat noch einmal abschließend damit.
Quelle: www.bundesrat.de, Bericht über die Sitzung vom 6.11.2020
Welche veränderten Leistungen erhalten Krankenversicherte, Pflegebedürftige und pflegende Angehörige in Corona-Zeiten?
Seit Beginn der Corona-Pandemie werden für krankenversicherte und pflegebedürftige Menschen sowie auch für pflegende Angehörige vom Gesetzgeber die Regelungen der Kranken- und Pflegeversicherung der bundesweiten Corona-Situation angepasst.
Ärztliche Videosprechstunden und die Möglichkeit, sich per Telefonsprechstunde krankschreiben zu lassen, sind nur ein Bruchteil der Maßnahmen, mit denen die Bundesregierung auf die Bedrohung durch die Pandemie reagiert.
Einen umfassenden Überblick bietet Ihnen dieser Link: www.awo-pflegeberatung.de
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News
Fragen zur Corona-Impfung im Zusammenhang mit einer gesetzlichen Betreuung
Viele Menschen mit einer rechtlichen Betreuung oder einem Bevollmächtigten werden aller Voraussicht nach zu den ersten Personen gehören, bei denen eine Impfung erfolgen kann.
Für die Corona-Tests oder -Impfungen gelten dieselben Regeln wie für andere ärztliche Maßnahmen: Ein Betreuer muss den Betroffenen bei seiner Entscheidung, ob er sich testen oder impfen lässt, unterstützen und ihn ‒ falls erforderlich ‒ dabei auch vertreten.
Dabei kommt es, wie stets, auf die Wünsche und gegebenenfalls den mutmaßlichen Willen der betreuten Person an. Bei einer behördlich empfohlenen Impfung mit einem zugelassenen Impfstoff bedeutet das in der Regel, dass der Betreuer nach der Zustimmung der betreuten Person zu einer Impfung fragen bzw. herausfinden muss, ob sie zugestimmt hätte oder ob sie generell oder jedenfalls in diesem Fall ablehnt oder abgelehnt hätte.
Ein rechtlicher Betreuer darf ‒ wie auch sonst ‒ nur dann stellvertretend für die betreute Person in eine Impfung einwilligen, wenn die betreute Person selbst nicht einwilligungsfähig ist und der Betreuer vom Gericht für einen entsprechenden Aufgabenkreis (z. B. Gesundheitssorge) bestellt ist.
Vor einer Vertretungsentscheidung ist zunächst die betreute Person bei ihrer Entscheidungsfindung zu unterstützen.
In Ausnahmefällen kann auch eine betreuungsgerichtliche Genehmigung der Erklärung des Betreuers erforderlich sein, etwa wenn die konkrete Person durch die Impfung oder deren Unterlassen erheblich gefährdet wäre sowie zwischen dem Betreuer und dem behandelnden Arzt kein Einvernehmen über den Willen der betreuten Person besteht.
Quelle: Pressemitteilung des Betreuergerichtstags e.V. vom 4.12.2020, www.bgt-ev.de
Hätten Sie es gewusst?
Begeht ein Arzt eine Körperverletzung, wenn er eine Heilbehandlung vornimmt?
Der behandelnde Arzt ist aber nicht wegen Körperverletzung strafbar, wenn sein Handeln durch die Einwilligung des Patienten gerechtfertigt ist. Das ergibt sich aus § 228 Strafgesetzbuch. Danach handelt, wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.
Deshalb ist es extrem wichtig, dass der Betreute wirksam in ärztliche Heilbehandlungen einwilligt, sonst kann seine Einwilligung keine Rechtfertigungswirkung entfalten.
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Über Lob freuen wir uns, Kritik nehmen wir ernst!
AWO-Betreuungsverein für den Kreis Birkenfeld e.V.
Hauptstr. 531–533 55743 Idar-Oberstein
betreuungsverein@awo-birkenfeld.de
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