Newsletter 01/2022

Liebe ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer,

zur allgemeinen Corona-Plage ist jetzt noch ein Krieg hinzugekommen, der vor allem die Menschen in der Ukraine trifft. So viel Leid und Elend machen einen einfach sprachlos – und keiner von uns hat sich diese Entwicklung wohl vorstellen können.

Uns bleibt nur übrig, weiterhin menschlich zu sein sowie mitzufühlen mit allen, die durch kriegerische Auseinandersetzungen Tod, Verletzungen und Ungerechtigkeit erfahren.

Jeder Einzelne kann eine Wende zum Besseren bewirken und helfen, wo es nötig ist. Bieten wir dem Unrecht die Stirn. So wie es der Mann in dem Rechtsprechungsfall getan hat, der seinen in einer Patientenverfügung dargelegten Willen vor dem Bundesverfassungsgericht durchgesetzt hat.

Herzliche Grüße

Ihr Christoph Überschär

Aktuelle Rechtsprechung

Erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht: Selbstbestimmungsrecht durchgesetzt dank Patientenverfügung

Jede medizinische Behandlung einer Person gegen ihren natürlichen Willen greift in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ein. Dieses Grundrecht schützt die körperliche Integrität der Person und damit auch das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht. Auch Straftäter im Maßregelvollzug haben deshalb das Recht, Zwangsbehandlungen abzulehnen, denn es gibt eine „Freiheit zur Krankheit“, so das Bundesverfassungsgericht. Die Begründung lesen Sie in dieser Besprechung.

Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 08.06.2021, Az. 2 BvR 1314/18

Das ist passiert:

Bereits im Juni 2005 hatte ein Mann in einem mit den Worten „Ergänzende Patientenverfügung und Vollmacht mit Betreuungsverfügung“ überschriebenen Formular erklärt, eine „Patientenverfügung“ getroffen zu haben und sie in diesem Dokument zu wiederholen. Er traf insbesondere Anordnungen zu lebensverlängernden Maßnahmen sowie Fremdbluttransfusionen und setzte seine Mutter als bevollmächtigte Vertreterin ein. In einem weiteren Schriftstück vom 11.01.2015 erklärte der Mann, der an einer Schizophrenie litt, dass er es jedem Arzt, Pfleger (und anderen Personen) verbiete, ihm Neuroleptika in irgendeiner Form gegen seinen Willen zu verabreichen oder ihn zur Einnahme zu drängen.

Seit Oktober 2015 war der Mann aufgrund einer gerichtlichen Anordnung dauerhaft in einem Bezirkskrankenhaus im Maßregelvollzug untergebracht, weil er wegen einer wahnhaften Störung im Zustand der Schuldunfähigkeit mit einem Besteckmesser auf den Brustkorb seines Nachbarn eingestochen und versucht hat, diesen zu töten. Im September 2016 beantragte das Bezirkskrankenhaus die Zwangsbehandlung des Beschwerdeführers. Diese Behandlung sei notwendig, um den Mann vor irreversiblen hirnorganischen Gesundheitsschäden zu bewahren, die bei weiterer Verzögerung des Behandlungsbeginns mit hoher Wahrscheinlichkeit einträten, so die Vertreter des Bezirkskrankenhauses. Insgesamt noch zweimal beantragte das Bezirkskrankenhaus diese Zwangsbehandlung.

Nach der dritten Verlängerung der Zwangsmedikation des Beschwerdeführers durch das Landgericht im Dezember 2017 hob das Oberlandesgericht diese Entscheidung zunächst auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurück. Dieses habe das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers in entscheidungserheblicher Weise verletzt, indem es davon ausgegangen sei, dass keine Patientenverfügung vorliege.

Das Landgericht erteilte daraufhin erneut die Einwilligung zur täglichen Injektion eines Medikaments für weitere zwölf Wochen. Die Behandlung erfolgte, um den Mann vor irreversiblen hirnorganischen Gesundheitsschäden zu bewahren, die bei weiterer Verzögerung des Behandlungseintritts mit hoher Wahrscheinlichkeit eingetreten wären. Zudem sollte ein chronischer Verlauf der Erkrankung verhindert werden. Darüber hinaus sollte die Medikation einen krankheitsbedingt drohenden lebenslangen Freiheitsentzug verhindern, dem der Patient in unbehandeltem Zustand möglicherweise ausgesetzt wäre. Das von dem Beschwerdeführer in der Patientenverfügung vom 11.01.2015 ausgesprochene Verbot, ihm Neuroleptika zu verabreichen, sei berücksichtigt worden, stehe einer Zwangsbehandlung aber nicht entgegen. Die Rechtsbeschwerde verwarf das Oberlandesgericht mit angegriffenem Beschluss im Mai 2018 als offensichtlich unbegründet.

Doch dann zog der Mann vor das Bundesverfassungsgericht – mit Erfolg. Er rügte eine Verletzung seines Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 Grundgesetz (GG)) und seiner Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG).

Darum geht es:

Es geht darum, ob die Zwangsbehandlung rechtlich zulässig war oder ob der Betroffene in seiner Patientenverfügung einer solchen Zwangsbehandlung rechtswirksam widersprochen hat.

Die Entscheidung:

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.

Jede medizinische Behandlung einer Person gegen ihren natürlichen Willen greift in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ein. Dieses Grundrecht schützt die körperliche Integrität der Person und damit auch das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht. Zu seinem traditionellen Gehalt gehört der Schutz gegen eine staatliche Zwangsbehandlung. Der in der medizinischen Zwangsbehandlung einer untergebrachten Person mit Neuroleptika liegende Grundrechtseingriff wiegt dabei besonders schwer.

Eine Zwangsbehandlung zum Schutz der Grundrechte der untergebrachten Person kann jedoch dann nicht gerechtfertigt sein, wenn diese sie im Zustand der Einsichtsfähigkeit wirksam ausgeschlossen hat. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht geprüft, ob die vorherigen Instanzen sich von der Rechtswirksamkeit der vorliegenden Pateientenverfügung überzeugt und diese rechtlich in angemessenem Maße gewürdigt haben. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts haben die Gerichte nicht bedacht, dass das Selbstbestimmungsrecht eine Zwangsbehandlung, die allein dem Schutz des Betroffenen dient, bei einer entgegenstehenden wirksamen Patientenverfügung von vornherein verbietet.

An die rechtliche Würdigung der Patientenverfügung stellte das Bundesverfassungsgericht folgende Anforderungen:

Diese Voraussetzungen hat das Bundesverfassungsgericht in diesem Fall bejaht. Der Einzelne ist grundsätzlich frei, über Eingriffe in seine körperliche Integrität und den Umgang mit seiner Gesundheit nach eigenem Ermessen zu entscheiden. Diese Freiheit ist Ausdruck der persönlichen Autonomie des Einzelnen und als solche durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützt. Dieses Grundrecht verstärkt durch die Inbezugnahme der Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG den Gewährleistungsgehalt der körperlichen Unversehrtheit zu einer „Freiheit zur Krankheit“ und verleiht ihm dadurch ein besonderes Gewicht. Die Freiheitsgrundrechte schließen das Recht ein, von der Freiheit einen Gebrauch zu machen, der in den Augen Dritter den wohlverstandenen Interessen des Grundrechtsträgers zuwiderläuft. Das schließt die „Freiheit zur Krankheit“ und damit das Recht ein, auf Heilung zielende Eingriffe abzulehnen, selbst wenn diese nach dem Stand des medizinischen Wissens dringend angezeigt sind und deren Unterlassen zum dauerhaften Verlust der persönlichen Freiheit führen kann.

Übertragen auf diesen Fall, bedeutet es, dass der Mann die Patientenverfügung weit vor der Zwangsmaßnahme verfasst hat und von seiner Einsichtsfähigkeit deshalb auszugehen ist.

Nach den vom Bundesgerichtshof bereits aufgestellten Grundsätzen muss die Erklärung einerseits

Auch diese Voraussetzungen bejahte das Bundesverfassungsgericht und sah deshalb die vorliegende Patientenerklärung als bindend sogar im Maßregelvollzug an.

Das bedeutet die Entscheidung für die Praxis:

Obwohl das Bundesverfassungsgericht feststellte, dass fortlaufend zu überprüfen ist, ob die jeweiligen Umstände und Krankheitssituationen noch von der Patientenverfügung gedeckt sind, führt uns die Entscheidung die Wichtigkeit einer rechtssicher formulierten Patientenverfügung einmal mehr vor Augen. Suchen Sie Rat bei den Mitarbeiter:innen Ihres Betreuungsvereins, sollten Sie bei der Formulierung Ihrer Patientenverfügung unsicher sein.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 08.06.2021, Az. 2 BvR 1314/18, Pressemitteilung vom 30.07.2021

Veranstaltungen

Vortrag: Die Aufgaben des Betreuungsgerichts

Termin: Mittwoch, 23.03.2022, 13:30 bis 15:00 Uhr
Ort: Amtsgericht Idar-Oberstein, Mainzer Straße 180, 55743 Idar-Oberstein
Referentin: Bettina Corban, Richterin am Amtsgericht Idar-Oberstein

Vortrag: Neuerungen in der Eingliederungshilfe

Termin: Mittwoch, 27.04.2022, 18:00 bis 20:00 Uhr
Ort: WfbM der Lebenshilfe, Weißborr 11–13, 55743 Idar-Oberstein
Referentin: Martina Becker Geschäftsführerin der Lebenshilfe Obere Nahe gGmbH

Vortrag: Unterstützung am Lebensende

Termin: Dienstag, 10.05.2022, 18:30 bis 20:00 Uhr
Ort: Gemeindehaus der evangelischen Kirchengemeinde Göttschied, Blumenstraße 26,
55743 Idar-Oberstein
Referentin: Anke Schwall, Pall. Care Fachkraft/Koordinatorin des Ambulanten Hospiz- und Palliativ-Beratungsdienstes Obere Nahe

Um eine bessere Planung zu gewährleisten, bitten wir um Ihre Anmeldung zu den Vortägen per         E-Mail an betreuungsverein@awo-birkenfeld.de.

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Gesetzgebung

Ab 01.03.2022: Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende tritt in Kraft

Die zurzeit geltende Rechtslage (sog. Entscheidungslösung) bleibt in ihrem Kern unverändert, das heißt, eine Organ- und Gewebespende ist grundsätzlich nur dann möglich, wenn der mögliche Organ- oder Gewebespender zu Lebzeiten eingewilligt oder sein nächster Angehöriger zugestimmt hat.

Das Gesetz sieht unter anderem vor:

  • Die Ausweisstellen von Bund und Ländern müssen den Bürgerinnen und Bürgern zukünftig Aufklärungsmaterial und Organspendeausweise aushändigen. Dabei wird auf weitere Informations- und Beratungsmöglichkeiten hingewiesen. Das Gesetz sieht zudem die Möglichkeit vor, sich vor Ort in das Online-Register einzutragen.
  • Hausärztinnen und Hausärzte können künftig bei Bedarf ihre Patientinnen und Patienten alle zwei Jahre über die Organ- und Gewebespende ergebnisoffen beraten. Das Gesetz sieht außerdem vor, die Organ- und Gewebespende verstärkt in der ärztlichen Ausbildung zu verankern.
  • Grundwissen zur Organ- und Gewebespende soll zudem in den Erste-Hilfe-Kursen zum Erwerb der Fahrerlaubnis vermittelt werden.

Was Sie beachten sollten

Voraussetzung für eine Organ- und Gewebeentnahme nach dem Tod ist die Einwilligung des möglichen Organ- oder Gewebespenders zu Lebzeiten oder die Zustimmung seines nächsten Angehörigen, wenn zu Lebzeiten keine Erklärung abgegeben worden ist.

Sprechen Sie mit den von Ihnen betreuten Personen das Thema an und ergründen Sie, ob ein Wille zur Organspende vorliegt. Dann ist es am besten, wenn ein Organspendeausweis ausgefüllt wird. Leider nimmt das Onlineregister frühestens Ende des Jahres den Betrieb auf. Bis dahin sollte der Organspendeausweis stets mitgeführt werden.

Einen Organspendeausweis können Sie unter www.organspende-info.de bestellen oder online ausfüllen.

Quelle: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/zustimmungsloesung-organspende.html vom 11.03.2022

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Veranstaltungen

Außensprechstunden

Damit Sie uns bequem erreichen können, bieten wir Ihnen Außensprechstunden zu den folgenden Terminen an:

Termine: 20.07.2022, 14:00 bis 16.00 Uhr
Ort: Baumholder, Altes Rathaus

Termine: 21.07.2022
Ort: Birkenfeld, Alte Schule, 14:00 bis 16:00 Uhr

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Hätten Sie es gewusst?

Was ist das Ehegattenvertretungsrecht?

Das Ehegattenvertretungsrecht ist Teil der Betreuungsrechtsreform, die am 01.01.2023 in Kraft tritt. In das Bürgerliche Gesetzbuch wird § 1358 neu eingefügt. Unter diesem Link finden Sie den Gesetzestext.

Das Ehegattenvertretungsrecht besagt Folgendes:

Kann ein Ehegatte aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit seine Angelegenheiten der Gesundheitssorge rechtlich nicht besorgen (vertretener Ehegatte), ist der andere Ehegatte (vertretender Ehegatte) berechtigt, für den vertretenen Ehegatten

Wird das Ehegattenvertretungsrecht ausgeübt, dann sind behandelnde Ärzte gegenüber dem vertretenden Ehegatten von ihrer Schweigepflicht entbunden. Dieser darf die betreffenden Krankenunterlagen einsehen und ihre Weitergabe an Dritte bewilligen.

Das Ehegattenvertretungsrecht ist jedoch unter anderem ausgeschlossen, wenn

Der Arzt, gegenüber dem das Vertretungsrecht ausgeübt wird, hat

Das Dokument mit der Bestätigung ist dem vertretenden Ehegatten für die weitere Ausübung des Vertretungsrechts auszuhändigen. Das Vertretungsrecht darf ab der Bestellung eines Betreuers, dessen Aufgabenkreis die Gesundheitssorge umfasst, nicht mehr ausgeübt werden.

Zudem ist das Ehegattenvertretungsrecht auf sechs Monate begrenzt.

Tipp: Setzen Sie lieber auf eine Vorsorgevollmacht

Problematisch beim Ehegattenvertretungsrecht ist, dass es auf sechs Monate befristet ist und auch nur einmal gewährt wird. Auf der sichereren Seite sind Sie jedem Fall, wenn Sie eine Vorsorgevollmacht für Ihre/n Ehepartner:in erteilen. Dabei beraten wir Sie gerne und kostenfrei.

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Über Lob freuen wir uns, Kritik nehmen wir ernst!

AWO-Betreuungsverein für den Kreis Birkenfeld e.V.

Hauptstraße 531–533

55743 Idar-Oberstein
betreuungsverein@awo-birkenfeld.de